Berlin Partner sprach mit Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Wärme Berlin AG, über Vattenfalls Beitrag zu Berlins Klimaneutralitätszielen, die Dekarbonisierung der städtischen Wärmeversorgung und die Rolle der Wärme zur Umsetzung der Energiewende.
Warum engagieren Sie sich als Berlin-Partner?
Wir sind stolz, sehr viele Berlinerinnen und Berliner sicher und zuverlässig mit umweltschonender Wärme versorgen zu können. Und nicht nur das. Unsere Wärme ist zu 100% lokal produziert – wir bieten entsprechend auch rund 1.700 gute, zukunftsträchtige und zukunftsgestaltende Arbeitsplätze hier in Berlin. Dabei verbinden wir unsere lokale Verankerung mit unserer internationalen Präsenz. Das Berliner Stadtwärmesystem ist außerdem ein wichtiger Hebel beim Erreichen der Klimaneutralität für die Stadt. Die Dekarbonisierung unserer Wärme ist dabei eine gleichermaßen anspruchsvolle wie reizvolle Aufgabe. Damit wir hier erfolgreich sind, ist die Zusammenarbeit mit starken Partnern unerlässlich. Berlin Partner ist für uns ein Garant dafür, dass die Stadt für innovative Wirtschaftsunternehmen attraktiv bleibt und dass jedes Jahr wieder neue großartige Mitstreiter bei unserer Mission, die Zukunft zu gestalten, in die deutsche Hauptstadt kommen.
Die Welt verändert sich. Wie verändert sich Ihre Welt?
Wir befinden uns mitten im Transformationsprozess hin zu einer 100-prozentig grünen Stadtwärmeversorgung. Innerhalb einer Generation wollen wir eine fossilfreie Energieversorgung ermöglichen. Eine Etappe auf dem Weg: Der Kohleausstieg bis 2030. Dafür wird sich unsere Welt enorm verändern. Gas und später Wasserstoff, Biomasse, die Einbindung von Großwärmepumpen oder Power-to-Heat werden hier eine Rolle spielen. Ein Beispiel für die letztgenannte Technologie ist unsere 120 Megawatt große Anlage im Berliner Nordwesten, mit der wir überschüssigen Windstrom nach dem Tauchsiederprinzip in Stadtwärme umwandeln können. Die Anlage ist Europas größte und hat eine thermische Leistung, die der von 60.000 Wasserkochern entspricht. Über den Kohleausstieg hinaus haben wir unser gesamtes Wärmesystem im Blick und stellen unser Geschäft sukzessive auf die Einbindung von immer mehr erneuerbaren Energien um. Diese Transformation erfolgt im laufenden Betrieb, denn wir können unsere Kunden ja nicht einfach mal ein Jahr in der Kälte wohnen oder mit kaltem Wasser duschen lassen! Und ein weiterer Blick in die Zukunft – wir arbeiten daran, dass unser Netz immer intelligenter wird: Smart Meter machen unser Stadtwärmenetz noch flexibler. Parallel dazu arbeiten wir an einem weiteren Projekt von Europaligaformat: Wir wollen unser 2.000 km Netz inklusive der kompletten Erzeugung von 5,2 Gigawatt aus einer einzigen Systemwarte heraus steuern. Hier betreten wir im Bereich der Wärmeversorgung Neuland. Geplant ist, Mitte der 20er Jahre Vollzug melden zu können.
Was ist für Sie „typisch Berlin“?
Berlin ist für mich bunt, direkt, unkonventionell und klimabewusst. Eine Stadt, in der die Kinderbetreuung weit über dem Durchschnitt ist im Deutschlandvergleich und die Schulen sehr viel besser sind als ihr Ruf. Gerade in der Corona-Zeit haben mich die Schulleiterin des Dathe- und der Schulleiter des Kantgymnasiums – die Schulen meiner beiden Kinder – sehr beeindruckt.
Sie wollen ein Leben ohne fossile Brennstoffe innerhalb einer Generation ermöglichen. Ist die Herausforderung der Wärmewende für Berlin besonders groß? In welche Technologien sollte Ihrer Ansicht nach investiert werden?
Wärme ist der Schlüssel zur Energiewende: Die Umsetzung der Energiewende ist undenkbar ohne die Wärmewende. In Berlin z. B. stammen 50% der CO2-Emissionen aus dem Gebäudesektor – vor allem vom Heizen und Warmduschen. Berlins Stadtwärmesystem ist ein wichtiger Hebel beim Erreichen der Klimaneutralität für die Stadt. Wenn wir bis 2030 sukzessive den Kohleausstieg vollziehen, sparen wir jährlich 2 Millionen Tonnen CO2. Das Land Berlin selbst hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesamtemissionen um insgesamt 6 Millionen Tonnen zu senken. Das heißt, wir leisten mit Abstand den größten Einzelbeitrag. Für die Klimaneutralität werden wir unter anderem Wasserstoff, deutlich mehr Biomasse, Power-to-Heat und Großwärmepumpen nutzen. Was für uns in Berlin die Herausforderung allerdings noch größer macht ist, dass es wenig Industrie zur Nutzung von Abwärme gibt – anders als in anderen Großstädten wie z. B. Hamburg oder dem Ruhrgebiet. Zudem ist Geothermie auf Grund der geologischen Bedingungen – anders als in München – absehbar keine skalierbare Lösung, auch wenn wir diese Option für Berlin nicht ganz ausschließen wollen. Ein theoretischer Standortvorteil ist die Nachbarschaft zu Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und der Ostsee und damit die Nähe zu Solar- und Windenergie, die auf dem Land und offshore in deutlich größerer Menge erzeugt werden kann als in der Stadt, in der Flächenkonkurrenz zum Alltag gehört. Power-to-Heat ist hier das Stichwort. Dazu müssen wir allerdings im Ausbau der Windenergie und Energienetze deutlich schneller und weniger kleinteilig vorangehen sowie die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land viel stärker in den Fokus rücken. Wir haben in der Metropolregion Berlin klare Ziele, auf die wir uns gemeinsam verpflichten können – wie wir diese erreichen, können wir jedoch – besonders mit Blick auf die 40er Jahre und eine vollständige Dekarbonisierung – noch nicht sagen. Hier brauchen wir den Mut, neben dem NEIN zu fossilen Brennstoffen auch mehrere JAs zu den Lösungen zu sagen, die uns helfen, die Klimaneutralität zu erreichen. Wenn wir die Mammutaufgabe einer vollständigen Klimaneutralität erreichen wollen, müssen sehr viele Akteur*innen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam anpacken. Wir haben hier keine Zeit und aus meiner Sicht auch keine Notwendigkeit, gegeneinander zu arbeiten – denn wir haben alle das gleiche Ziel.