Wasserstoffcluster Brandenburg - Dekarbonisierung gelingt nur in starken Verbünden
Dekarbonisierung gelingt nur in starken Verbünden. Wie das geht, macht das Wasserstoffcluster Brandenburg vor. Vier Perspektiven auf das Thema zum Nachlesen.
Es gibt gute Gründe, warum das Land Brandenburg beim Thema Wasserstoff heute eine Vorreiterrolle in Deutschland innehat. Die Region besitzt große (Industrie-)Unternehmen, die Wasserstoff herstellen, transportieren oder für ihre Dekarbonisierung nutzen wollen, es gibt starke Forschungseinrichtungen zum Thema und nicht zuletzt einen engagierten Minister, der das besondere Potential Brandenburgs für grünen Wasserstoff sieht. Das Wasserstoffcluster Brandenburg, initiiert und geleitet durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie sowie die Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB), vernetzt aktiv alle Akteure und stärkt den Prozess.
Der Initiator des Wasserstoffclusters Brandenburg
„Als ich im Herbst 2018 im Ministerium anfing, entschied ich mich, einen Schwerpunkt meiner Arbeit auf das Thema Wasserstoff zu legen, denn ich hatte den Eindruck, dass es nicht nachdrücklich genug verfolgt wurde“, blickt Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg, zurück. „Es zeigte sich schnell, dass sowohl das Potenzial als auch der Bedarf für Wasserstoff in der Region sehr hoch waren. Zudem haben wir vor Ort Industrie aus den Bereichen Stahl und Zement, die Raffinerie in Schwedt und andere, die von der Defossilisierung stark betroffen sind und die wir unterstützen wollten, das Thema stringent zu bearbeiten.“
2020 holte das Ministerium erstmals die Akteure an einen Tisch. Es entstand die Initiative „Wasserstoffcluster Ost-Brandenburg“, so genannt, weil die Unternehmen entlang der Oder liegen. Sie mündete unter anderem in den Antrag für ein EU-gefördertes Projekt, ein Wasserstoff-Backbone für die Versorgung Brandenburgs mit Wasserstoff aus den Off-Shore-Gebieten der Ostsee. Das Unternehmen ONTRAS, ein Betreiber von Fernleitungsnetzen, stellte den Antrag, das Projekt „doing hydrogen“ wurde bewilligt.
„Mit diesem EU-Projekt waren wir nun deutlich weiter, gleichzeitig taten sich immer mehr regionale Initiativen für die Nutzung von Wasserstoff auf, so dass wir beschlossen, das Wasserstoffcluster auf ganz Brandenburg auszudehnen – mit der Unterstützung der ‚Startpartner‘“, erklärt der Minister den nächsten Schritt.
Partnersuche im Wasserstoffmarktplatz
Als ein digitales Hilfsmittel, um regionale Projekte sichtbar zu machen und zu vernetzen, hat Brandenburg zudem zusammen mit Berlin den Wasserstoffmarktplatz Berlin-Brandenburg entwickeln lassen. Die Web-Plattform bringt Erzeuger, Transporteure und Verbraucher von Wasserstoff auf einer digitalen Karte zusammen. Gestartet im März 2020, sind im Herbst 2023 über 350 Projekte eingetragen. Die Plattform ist seit einiger Zeit offen für Unternehmen aus ganz Deutschland, die sich in der Region zum Thema engagieren wollen.
Wie schnell kann Brandenburg die Herstellung von Wasserstoff skalieren? „Wir werden vermutlich ab dem Jahr 2025 in Schwedt auf der Basis von 30 MB Elektrolyseur-Kapazität größere Mengen herstellen. Dann folgt ab dem Jahr 2028 das Kernnetz für die großindustriellen Unternehmen und für die Sicherstellung der Versorgung der Gaskraftwerke, die jetzt in der Ausschreibung sind und die alle ‚Wasserstoff-ready‘ sein müssen. Zwischen 2028 und 2030 erwarte ich eine völlig veränderte Landkarte. Dann werden die praktischen Anwendungen und Vorteile für die Menschen sichtbar sein“, blickt Minister Steinbach in die Zukunft.
Wer sind die Unternehmen im Wasserstoffcluster Brandenburg, die sich die Dekarbonisierung auf die Fahne geschrieben haben, und welche Wege schlagen sie ein? Einen Erzeuger, einen Abnehmer und einen Verteiler von Wasserstoff stellen wir im Folgenden stellvertretend vor.
Ein Erzeuger von Wasserstoff im Cluster
ENERTRAG ist ein Unternehmen der erneuerbaren Energieerzeugung. Es wurde in den neunziger Jahren in der Uckermark als Windkraftunternehmen gegründet. Heute sind die Brandenburger global und mit verschiedenen Projekten im Bereich der Wasserstofferzeugung aus erneuerbaren Energien aktiv. „Durch unsere bereits existierenden grünen Wasserstoffprojekte in Brandenburg lag es nahe, dass wir gefragt wurden, beim Brandenburger Wasserstoffcluster in der Erzeugerrolle dabei zu sein. Wir fanden das sehr sinnvoll und haben sofort zugesagt“, erinnert sich Eva-Maria Dichtl, Projektmanagerin für die Themen „Power-to-X“ und Wasserstoff bei dem Energieunternehmen.
Im Cluster entwickelt ENERTRAG neue Projekte zur Wasserstofferzeugung, zum Beispiel den Elektrolysekorridor Ostdeutschland, bei dem drei Elektrolyseure zur Wasserstofferzeugung errichtet werden sollen. Sie werden mit erneuerbarem Strom aus regionalen Windkraft- und Photovoltaikanlagen betrieben und speisen dann den produzierten Wasserstoff in die Pipelines der ONTRAS ein. „Die Vorrichtungen müssen also in der Nähe der Pipelines gebaut werden, ein Beispiel, warum die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit so wichtig ist“, so Dichtl. Und sie ergänzt, dass es aktuell darum geht, ein „Henne-Ei-Problem“ zu lösen: „Wir müssen in der Wasserstoffwirtschaft gleichzeitig die Produktionskapazitäten, die Abnahme und die Infrastruktur hochfahren. Die verschiedenen Player sind aufeinander angewiesen, die Projekte funktionieren nur im Einklang.“
„Wir denken von der Primärenergie her, in einem transformierten Wirtschafts- und Energiesystem sind das erneuerbare Energien aus Wind und Photovoltaik. In unserem relativ dünn besiedelten Flächenland können wir die Anlagen gut errichten. Gleichzeitig gibt es die großen Industrien in Brandenburg, die es zu erhalten gilt und die ebenfalls im Cluster vertreten sind. Zudem gibt es bereits jetzt eine gute infrastrukturelle Anbindung. All das zusammen sind die Standortvorteile Brandenburgs.“
Ein Abnehmer von Wasserstoff im Cluster
In Rüdersdorf bei Berlin ist der Boden wertvoll, denn dort lagert Muschelkalk. Schon seit rund 800 Jahren wird er abgebaut. Heute hat der globale Baustoffhersteller CEMEX in Rüdersdorf seinen deutschen Hauptsitz und betreibt einen Tagebau sowie ein großes und modernes Zementwerk, das jährlich 2,4 Millionen Tonnen des Baustoffs produziert. Doch die Erfolgsgeschichte birgt eine Herausforderung: Muschelkalk besteht zu über 40 Prozent aus fossilem CO2. Wird der Stein gebrannt im Prozess der Entsäuerung, entsteht einerseits der bindende Stoff Zement, andererseits wird das CO2 als Prozessemission freigesetzt. Genau hier liegt die zentrale Transformations-Aufgabe der Zementindustrie, erläutert Alexandra Decker, Mitglied im Vorstand der Cemex Deutschland AG. „Wir können diese Emission nicht durch effizientere Prozesse wegsparen. Gleichzeitig haben wir ehrgeizige Ziele im Kontext der Dekarbonisierung unseres Unternehmens. Was ist zu tun? Wir müssen das CO2 zunächst abscheiden und dann entweder abtransportieren und langfristig speichern oder das ‚C‘, also den Kohlenstoff in diesem Molekül, wiederverwenden. Nur das zweite Konzept entspricht dem Wunsch nach einer Kohlenstoffkreislaufwirtschaft. Und hier liegt der Link zum Wasserstoffcluster Brandenburg“, erläutert Decker.
CEMEX hat in Rüdersdorf mit Partnern unter dem Namen „Concrete Chemicals“ ein Pilotprojekt gestartet, bei dem das abgeschiedene CO2 mit Hilfe von grünem Wasserstoff in grünen Kohlenwasserstoff gewandelt wird. Der bildet wiederum das Grundprodukt für synthetische Kraftstoffe für die Luftfahrt und einen „sauberen“ Grundstoff für die chemische Industrie. Im ersten Schritt will man den dafür nötigen Wasserstoff selbst vor Ort herstellen. Aber um skalieren zu können, benötigt man mehr Wasserstoff.
„Im Wasserstoffcluster Brandenburg sind wir in der Rolle der Nutzer oder Abnehmer. Wir können aufzeigen, welche Bedarfe an Wasserstoff wir für uns sehen und diskutieren gemeinsam zum Beispiel über Geschäftsmodelle. Zudem ist die Beigabe von grünem Wasserstoff in den Brennstoffmix ein wichtiger Baustein, um die Brennprozesse in der Zementherstellung komplett zu defossilisieren. Grundsätzlich erleben wir die Treffen im Rahmen des Clusters mit der Politik, auch Minister Steinbach ist dabei, und den anderen Unternehmen, die aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen, als sehr wertvoll. Alle bringen ihre Expertisen und Herausforderungen ein. Auch das Thema der Regularien kommt auf den Tisch“, so Decker.
Ein Speicher für Wasserstoff im Cluster
Der Energiedienstleister EWE ist in verschiedenen Projekten entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette aktiv, so auch in Rüdersdorf bei Berlin. Dort testet das Unternehmen noch bis Ende 2024 einen unterirdischen Kavernenspeicher und erbringt im Forschungsvorhaben „HyCAVmobil“ unter anderem den Nachweis, dass Wasserstoff sicher in Salzkavernen gelagert werden kann. Dafür hat das Unternehmen den ersten kleinskaligen Untertage-Wasserstoff-Speicher gebaut und die Dichtheit des Systems nachgewiesen. Seit Ende 2023 finden umfangreiche Tests für den Betrieb der hausgroßen Wasserstoff-Kaverne statt, als wichtiger Schritt für die Übertragbarkeit auf große Kavernenspeicher mit dem 1.000-fachen Volumen. „Insgesamt wäre das die Basis, aus erneuerbaren Energien erzeugten Wasserstoff in großen Mengen speicherfähig und bedarfsgerecht nutzbar zu machen – für eine nachhaltige und sichere Energieversorgung“, sagt Peter Schmidt, Geschäftsführer der EWE GASSPEICHER GmbH.
Der EWE-Gasspeicherstandort Rüdersdorf zeichnet sich durch eine strategisch günstige Lage im zukünftigen Wasserstoff-System aus. „Neben der Nähe zum geplanten Kernnetz und zur Metropolregion Berlin, ist es der nächstgelegene Speicher für Import- und Erzeugungsprojekte rund um Lubmin. Unser Speicherstandort Rüdersdorf kann daher ein elementarer Bestandteil der Wasserstoff-Infrastruktur in Ostdeutschland werden. Aus diesem Grund bewerten wir aktuell die Umrüstung oder auch den Neubau weiterer Kavernen am Standort Rüdersdorf und sind auch der Initiative ‚Flow – making hydrogen happen‘ beigetreten, die den entsprechenden Transportkorridor von Lubmin über Berlin bis nach Bayern und Baden-Württemberg umfasst“, erläutert Peter Schmidt. Für EWE sind Partnerschaften wie diese und Mitgliedschaften, wie im Wasserstoffclusters Brandenburg, wichtige Bausteine auf dem Weg in eine klimaneutrale Energiezukunft.
Der Verteiler von Wasserstoff im Cluster
Die ONTRAS Gastransport GmbH sagt in ihrem Firmennamen, welche Infrastruktur sie heute bereitstellt: die für Gas. Sie betreibt ein 7.700 Kilometer langes Fernleitungsnetz in Ostdeutschland. Das große Thema der Dekarbonisierung betrifft den Infrastukturanbieter genauso wie die Industrie. „Technologisch beschäftigen wir uns mit dem Thema Wasserstoff schon länger. Seit die EU vor drei Jahren die Förderung von Wasserstoffprojekten intensivierte und wir mit Partnern ein großes Projekt gewonnen haben, steht es bei uns in der Unternehmensentwicklung im Fokus“, erläutert Holger Sprung, der bei ONTRAS die Geschäftsentwicklung verantwortet.
Brandenburg hat für Sprung ein enormes Potential als „Hub“ für Wasserstoff. Neben dem Reservoir an Flächen für Windparks nennt er die Speicher, die in Rüdersdorf entstehen, und natürlich die geplante Infrastruktur, mit der die Lagegunst genutzt wird: „Wir werden mit dem Wasserstoffnetz einerseits Importrouten aus Skandinavien und Osteuropa anbinden und andererseits die Weiterleitung der Energie in den Süden Deutschlands ermöglichen. Zudem profitiert die Brandenburger Fläche von einer starken Nachfrage nach grüner Energie aus dem Berliner Raum, so rechnet sich eine aufwändige Infrastruktur.“ Die drei Faktoren zusammen ermöglichen eine Wasserstoff-Infrastruktur mit hohem Versorgungslevel, was für die heutige Brandenburger Industrie ebenso relevant ist wie für zukünftige Investoren.
Aktuell ist das Wasserstoffnetz in der Bauplanung, der nächste Schritt wird die Genehmigungsplanung sein. Hier ist es für Sprung wichtig aufzuzeigen, dass die großen Infrastrukturprojekte zentral für die Transformation der Industrie in Brandenburg sind. „Wir wollen mit unseren Projekten Wertschöpfung in Brandenburg halten. Auch Schwedt, Eisenhüttenstadt und die Lausitz werden an das Netz angeschlossen, also Standorte mit großen Aufgaben in der Transformation“, betont Sprung.
Die Chancen sind da. Damit sie genutzt werden, ist die Vernetzung zwischen den Akteuren entscheidend. „Für mich ist Brandenburg mit seinem Wasserstoffcluster ein First Mover. Einen so tiefen Austausch zwischen Verwaltung und Industrie erleben wir nicht überall“, so der Prokurist des in Leipzig ansässigen Infrastrukturbetreibers. Sein abschließender Wunsch: Es möge so bleiben, vor allem auch, dass branchenübergreifend gedacht wird. Die Dekarbonisierung ist eine gewaltige Aufgabe, das Wasserstoffcluster Brandenburg leistet mit seinen Strukturen einen umfassenden Beitrag.
Das Cluster Energietechnik Berlin-Brandenburg, verankert in der WFBB, wird auch zukünftig die Wasserstoffinitiativen begleiten, Akteure vernetzen, Veranstaltungen anbieten und den Austausch fördern. Die Themenseite www.h2-bb.de gibt einen Überblick über Akteure und Innovationsprojekte in der Region und bietet ein digitales Vernetzungstool zum Wasserstoff an: Gruppe Wasserstoffwirtschaft Berlin-Brandenburg auf der Kooperationsplattform Brandenburg (Koop-BB).